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Hängepartie um den Bestandschutz-Tarifvertrag

09.09.2024

 „Der rbb hat über seine Verhältnisse gelebt.“ Geht es nach Intendantin Ulrike Demmer, so muss sich die Belegschaft des rbb künftig auf magere Zeiten einstellen Aufgrund der nach wie vor schwierigen Finanzlage, so kündigte Demmer auf der Personalversammlung am 27. August an, werde die Arbeit im Sender auch in den nächsten zwei, drei Jahren im Zeichen des Sparens stehen.
 
Von Günter Herkel
 
Angesichts vieler Unwägbarkeiten und unklarer Perspektiven wächst in der Belegschaft der Unmut. Das gilt vor allem für die freien Mitarbeiter*innen. Als Zumutung empfinden die meisten die Hängepartie um den Bestandschutz-Tarifvertrag. Was von Ulrike Demmer vor einem halben Jahr euphorisch als „Meilenstein des künftigen Miteinanders“ im rbb gefeiert wurde, harrt immer noch der Ratifizierung durch die Geschäftsleitung.
Zur Erinnerung: Bereits am 20. März hatte der rbb-Verwaltungsrat dem jahrelang umkämpften Tarifvertrag über einen Beendigungsschutz für langjährige freie Mitarbeiter*innen zugestimmt. Er bietet arbeitnehmerähnlichen Freien ab dem siebten Beschäftigungsjahr beim rbb einerseits eine Beschäftigungssicherheit, andererseits eine stufenweise ansteigende Honorargarantie. Eine Garantie, die nach acht aufeinanderfolgenden Kalenderjahren bei 20 Prozent einsetzt und nach 20 Jahren 100 Prozent erreicht. Der garantierte Anspruch bezieht sich dabei auf die Durchschnittseinkünfte der jeweils vorausgegangenen fünf Jahre.
 
Riecht nach Salamitaktik
Anfang Juli hatte die Geschäftsleitung zugesichert, das Paragrafenwerk noch vor der Sommerpause endlich in Kraft treten zu lassen. Zum Ärger der Kolleg*innen wurde der Deal von Woche zu Woche verschoben. Angeblich hake es beim „Steuerungssystem“: Es fehle an genauen Daten darüber, wer aufgrund seiner Erwerbsbiografien in welchem Umfang von diesem Tarifvertrag betroffen sei.
Das rieche ein wenig nach Salamitaktik, monierten einige Personalrater*innen. Die Geschäftsleitung habe doch gemeinsam mit den Gewerkschaften an einem Tisch gesessen, das Dokument verhandelt und am Ende akzeptiert. Sei das nicht vorher mal durchkalkuliert worden? Diejenigen, die am Ende eine Honorargarantie von 100 Prozent bekämen, arbeiteten zum Teil 20 oder 30 Jahre im Haus. Und zwar nicht als „Edelfedern“, so die Personalrätin Dagmar Bednarek, sondern als redaktionelle Programmarbeiter*innen wie die festangestellten Kolleg*innen auch.
Diese dürften doch nicht Leidtragende eines verfehlten Managements sein. Auch wenn die finanzielle Situation des Senders „sehr klamm“ sei, dürfe die Geschäftsleitung sich nicht aus ihrer sozialen Verantwortung stehlen, bekräftigte Bednarek und forderte: „Unterschreiben Sie den Vertrag, im Sinne des Betriebsfriedens!“
Intendantin Demmer beteuerte, man habe „Sinn und Zweck des Beendigungsschutz-Tarifvertrags nicht über Bord geworfen“. Das Ausrechnen sämtlicher Erwerbsbiografien der Kolleg*innen, die Ansprüche erworben hätten, sei aber zeitaufwändig, da es händisch erfolgen müsse.  Das vollständige Datenbild werde somit erst Ende September vorliegen. Ein neuerliches Vertröstungsmanöver, das begreiflicherweise nicht gut bei den Betroffenen ankam.
 
Sparkurs verschärft
Der Rotstift regiert an der Masurenallee, und kein Ende in Sicht. Nach jüngsten Berechnungen der Geschäftsleitung besteht ab 2026 weiterhin eine Haushalts-Deckungslücke von neun Millionen Euro. Da die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) empfohlene bescheidene Beitragserhöhung um 58 Cent von der Politik nach wie vor blockiert wird, verschärft der rbb seinen Sparkurs.
Exakt ein Jahr nach Dienstantritt verkündete Intendantin Demmer am 28. August vor der Presse als künftiges Ziel ihrer Sanierungspolitik die „Konzentration auf das Wesentliche“. Bei Lichte besehen erweisen sich ihre Vorhaben als Strategie des „Gesundschrumpfens“ – sowohl in räumlicher als auch in programmlicher Hinsicht.
Spektakulärste Einzelmaßnahme dürfte der geplante Verkauf des Fernsehzentrums und des Parkhauses an der Masurenallee sein. Die Räumung von 56.000 Quadratmetern Büro- und Studiofläche – rund 50 Prozent des bisherigen Areals - soll nach den Vorstellungen der Geschäftsleitung an die sechs Millionen Euro Unterhaltskosten pro Jahr sparen. Bis spätestens 2032 werde die Arbeit im 1931 fertiggestellten, denkmalgeschützten Haus des Rundfunks konzentriert. Mit der Umsetzung, so Intendantin Ulrike Demmer, könne schon Ende 2025 begonnen werden.
 
Kulturwandel bei der Führung gefordert
Betreiben wir unsere eigene Verzwergung? Nicht die einzige Frage, die tags zuvor auf der Personalversammlung gestellt wurde. Schließlich dürfte ein so radikaler Schritt Konsequenzen für die Arbeitssituation jeden einzelnen Beschäftigten haben. Wieder einmal haben die Betroffenen das Gefühl, an zentralen Veränderungsprozessen nicht beteiligt zu werden. Diese Kritik der Kolleg*innen am Vorgehen der neuen Geschäftsleitung hatte Personalratsvorsitzende Martina Schrey kürzlich gegenüber der FAZ resümiert: „Es muss ein Kulturwandel bei allen Führungskräften stattfinden.“ Die neue Leitung, so Schrey, müsse „transparenter und aufgeschlossener auf Vorschläge aus der Belegschaft reagieren“.
Wenig konkret erscheint einstweilen auch das Konzept „Zielbild 2028“ für einen „schlankeren und beweglicheren Sender“.  Der Personalrat vermisst klare Ansagen über Programmpläne, Schwerpunktsetzungen, Zukunft der digitalen Angebote. Immerhin: Zwei Jahre nach dem Schlesinger-Skandal, so die zentrale Aussage einer kürzlich vorgelegten Imagestudie, genießt der rbb bei seinem Publikum wieder ein hohes Vertrauen. Er setzt weiterhin vorrangig auf seine regionale Kompetenz mit den Highlights „Abendschau“ und „Brandenburg Aktuell“. 
Im Bereich Fiktion müssen kleinere Brötchen gebacken werden. Mehr als je einen „Tatort“ und einen „Polizeiruf“ pro Jahr werde der Sender für das Erste der ARD nicht beisteuern können, sagte Programmdirektorin Katrin Günther. Sie lobte die Entwicklung neuer Formate wie „Der Tag“ oder die Comedy-Reihe „Falsch aber lustig“ auf YouTube. Junge Zielgruppen will der Sender intensiver auf sozialen Medien wie TikTok bedienen. Angekündigt wurde auch ein verstärktes Engagement des rbb bei Podcasts in der ARD.
 
Tarifvertrag gekündigt
Ende September sollte nicht nur Klarheit über den TV-Bestandsschutz herrschen. Zum 30. September haben die Gewerkschaften den Tarifvertrag für Gehälter und Honorare gekündigt. Seit der enttäuschenden Tarifrunde vor zwei Jahren sind die Preise für Energie, Lebensmittel und Miete um etwa 19 Prozent gestiegen. Um weitere Reallohn- und Honorarverluste zu vermeiden, bedarf es einer massiven Mobilisierung. In einer derzeit laufenden Umfrage will ver.di ermitteln, „was die KollegInnen von dieser Tarifrunde erwarten und was sie bereit sind, dafür zu tun“, sagt ver.di-Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling. Die rbb-Geschäftsleitung verweist auf klamme Kassen und favorisiert ganz offen eine Nullrunde. Was am Ende dabei herauskommt, hängt jetzt ganz von der Mobilisierung und Kampfkraft der Kolleg*innen ab.